Eine neuentdeckte vorgeschichtliche Siedlungsstelle westlich von Fulda

 

Eine neuentdeckte vorgeschichtliche Siedlungsstelle westlich von Fulda
- Von Christian Lotz -

Das Gebiet zwischen Großenlüder-Bimbach und Fulda-Maberzell-Trätzhof stellt ein reichhaltiges Bodenarchiv dar und ist seit 1826 immer wieder Ziel von archäologischen Untersuchungen geworden. Besonders in den letzten Jahren hat sich die heimische Forschung durch Ausgrabungen, geophysikalischen Prospektionen und Feldbegehungen häufig auf die an Geländedenkmälern aus der Vor- und Frühgeschichte reiche Landschaft konzentriert: So kam es seit 2009 um den Schiebberg herum zu mehreren Grabungskampagnen durch die Stadt- und Kreisarchäologie Fulda, die Gräber der Mittelbronze- bis Hallstattzeit sowie eine Siedlung aus dem Übergangshorizont zwischen Urnenfelder- und Hallstattzeit zum Ziel hatten, während bei Großenlüder-Bimbach im Rahmen einer Notgrabung zwei zeitlich nicht näher bestimmbare Brandgräber am Rande eines Grabhügels geborgen wurden [Lotz 2018, 14; Wingenfeld 2018, 26].

Der Schiebberg als höchste Erhebung in diesem Kleingebiet trägt noch die Reste einer Befestigung bestehend aus zwei Wällen. Der größere der beiden ist von J. Vonderau untersucht und anhand von heute verschollenen Keramikfunden in die Latènezeit datiert worden [Vonderau 1930]. Der kleinere, heute nur noch einseitig erhöhte Wall wurde durch die Auswertung der LiDAR-Scans wiederentdeckt, findet sich jedoch bereits angedeutet in den handschriftlichen Aufzeichnungen W. Langes [OA der hessenArchäologie Außenstelle Marburg; Lotz 2018, 12-13]. Funde innerhalb der Anlage sind bis heute nicht bekannt geworden. Außerhalb des großen Walles gelegen finden sich an den Berghängen allerdings zahlreiche terrassenartige Wohnbereiche, auf denen in der Vergangenheit aus Baumwurzeltellern immer wieder vorgeschichtliche Keramik aufgelesen werden konnte, die bisher allerdings zeitlich nicht näher einzuordnen ist.

Besonders am Fuße des Schiebberges, darüber hinaus aber auch auf der Ebene in Richtung „Binz“ bei Großenlüder-Bimbach und vor allem an deren Südhang in der Flur „Straßenhecken“ sind zudem unzählige Grabhügel gelegen, die als Geländedenkmäler ein eindrucksvolles Zeugnis der Bestattungssitten vor allem während der Mittelbronzezeit wiederspiegeln. Die dortigen Ausgrabungen haben gezeigt, dass diese Grabstätten jedoch über 1.000 Jahre lang bis in die Latènezeit immer wieder aufgesucht wurden und dass Tote teilweise in ihnen nachbestattet oder in deren direkten Umfeld niedergelegt wurden.

Allgemein handelt es sich also um ein Gebiet, dass spätestens seit der Mittelbronzezeit bis in die Latènezeit für Bestattungen genutzt wurde und auch eine Siedlungslandschaft darstellte. Dies wird vor allem auch durch archäobotanische Untersuchungen nahegelegt, bei denen gezeigt wurde, dass im direkten Umfeld der Grabhügel am Fuße des Schiebberges Getreide verarbeitet wurde [Pramme de Alva – Stobbe – Verse 2011, 227-229]. Neben den undatierten Terrassen und der durch Ausgrabungen auf den Übergangshorizont zwischen Urnenfelder- und Hallstattzeit datierten Siedlungsfläche am Schiebberg war bisher jedoch nur ein Hüttenfundament in der Flur „In der hohlen Kirche“ bekannt geworden, das bereits 1908 von J. Vonderau ausgegraben wurde [Vonderau 1931, 39], dessen Datierung in die Vorgeschichte aufgrund der unklaren Befundlage jedoch anzuzweifeln ist. Vorgeschichtliche Siedlungen sind in dem westlich an Fulda anschließenden Gebiet somit noch unzureichend erforscht und abseits der Berghänge des Schiebberges bisher gänzlich unbekannt gewesen. Dies liegt daran, dass sich historisches Interesse und archäologische Forschung in den letzten Jahrhunderten hauptsächlich auf Grabhügel konzentrierten. Seit etwa 10 Jahren versucht man im Landkreis Fulda den wissenschaftlichen Fokus zunehmend auf Flachlandsiedlungen zu lenken um ein größeres Bild der vergangenen Kulturlandschaft zu erlangen. Neuere Methoden wie Pollen- oder Phosphatanalysen – wie sie zuletzt am Ostfuß der Milseburg durchgeführt wurden [Weihrauch – Makowski – Söder – Opp 2016] – machen die Beschäftigung mit solchen Bodendenkmälern zusätzlich attraktiv, doch fehlt es an Ansatzpunkten. Das Auffinden von Flachlandsiedlungen ist oftmals vom Zufall abhängig, da sie beispielsweise nicht auf LiDAR-Scans zu erkennen sind. Es erfordert klassische archäologische Arbeit in Form von Feldbegehungen, wobei eine enge Zusammenarbeit mit ehrenamtlichen Bodendenkmalpflegern nötig ist, welche die von ihnen betreuten Flächen über einen langen Zeitraum immer wieder abgehen. Das Interesse jener, die als archäologische Laien ihre Hilfe anbieten, konzentriert sich jedoch ehrfahrungsgemäß seit einem halben Jahrzehnt vornehmlich auf die Prospektion mit Metallsuchgeräten, wobei Fundmeldungen über vorgeschichtliche Keramikscherben, Hüttenlehm oder Steinwerkzeuge – also den klassischen Siedlungsfunden – immer seltener werden. Ein Bild, das sich auch in den Suchanfragen bei Google zu den Stichworten „Metalldetektor“ und „Sondeln“ niederschlägt. Diese haben seit 2014 immer weiter zugenommen, während die Anfragen zu „Archäologie“ stark abnahmen [Google Trends]. Und das in einer Zeit, in der Geländedenkmäler auf landwirtschaftlichen Flächen durch anhaltendes Pflügen einer schnell fortschreitenden Zerstörung unterworfen sind und deswegen eine regelmäßige Kontrolle so wichtig ist wie nie zuvor und zum anderen durch diesen Umstand – zusätzlich gefördert durch den Anbau von Mais für Biogasanlagen – neue Bodenarchive zutage treten, die bisher in sicheren Erdschichten lagerten.

Umso erfreulicher ist es, dass nun eine vorgeschichtliche Flachlandsiedlung westlich von Fulda bei einer Routineüberprüfung von Grabhügeln entdeckt werden konnte. Sie ist in einer Höhe zwischen 318 und 320 m ü. NN an einer Stelle gelegen, von der aus man über flache Hänge einen weiten Blick in das Fuldatal genießt. Heute handelt es sich um eine Ackerfläche, da die ersten Funde aber direkt am Rande des modernen Wirtschaftsweges entdeckt wurden, kann davon ausgegangen werden dass sich die Fundstelle auch unter den Weg und vielleicht in das dahinterliegende Waldgebiet fortsetzt (Abb. 2). Etwa 60 m entfernt steht ein 14 m durchmessender Grabhügel, der noch bis zu 1,5 m hoch erhalten ist und in der Vergangenheit entweder durch eine Grabung oder durch Steinentnahme beschädigt wurde. Er ist in den 1950er Jahren bereits von Th. E. Haevernick katalogisiert worden, weitere Aufzeichnungen existieren allerdings nicht [Lotz 2014, Kat. Nr. 81]. 100 m hangabwärts erreicht man einen Graben, der möglicherweise als Überrest einer mittlerweile versiegten Quellsituation zu sehen ist, was auch die Wahl des Siedlungsplatzes begünstigt haben könnte.

Abb. 1 Klinge aus weißem Feuerstein

Insgesamt wurde bei mehreren Begehungen ein nur relativ kleines Inventar zusammengetragen, das aus Keramikscherben, Rotlehm und einer Klinge aus weißem Feuerstein besteht. Letztere weist drei Dorsalnegative, einen Cortex-Rest an der Schlagfläche und eine leichte Gebrauchsretusche auf und ist distal abgebrochen, kann aber ursprünglich nicht viel länger als 2 cm gewesen sein (Abb. 1). Die Keramik (Abb. 3 1-10) ist durchgehend unverziert und auch die drei Randscherben sind zeitlich nicht näher einzuordnen, da sie zum Teil sehr klein fragmentiert sind. Eine Randscherbe stammt jedoch von einem Gefäß mit einziehendem Rand (Abb. 3 2). Sekundäre Brandspuren lassen sich an einer Wandscherbe feststellen (Abb. 3 10), was zusammen mit den zwei Klumpen Rotlehm (Abb. 3 11-12) auf eine Brandkatastrophe hinweisen könnte, falls diese nicht von einem Ofen stammen. 

 

Abb. 2 Kartierung der Fundstelle. Der rote Bereich stellt
die maximale Fundausdehnung dar

Der geringe Fundanfall in Verbindung mit frischen Bruchkanten, die an mehreren der Scherben zu beobachten sind, deutet darauf hin, dass der vorgeschichtliche Laufhorizont erst seit kurzem durch den Pflug geschädigt wird. Zwar ist der kleine Komplex bisher nur grob in die Vorgeschichte zu datieren, da auch Feuersteinklingen über das Neolithikum hinaus Verwendung fanden, trotzdem trägt er dazu bei, dass die Siedlungsforschung im Gebiet zwischen Fulda-Maberzell-Trätzhof und Großenlüder-Bimbach in Zukunft weiter voranschreiten kann. Gleichzeitig zeigt es, wie wichtig klassische Feldbegehungen sind. Welche Zeitstellung die Siedlung hat und ob sie in einem Zusammenhang mit dem direkt benachbarten Grabhügel bzw. anderen Gräbern und Geländedenkmälern in der Gegend zu sehen ist, werden zukünftige Untersuchungen zeigen müssen.

 

Abb. 3 Funde von der neuentdeckten Flachlandsiedlung

Fundkatalog

Die Katalognummer ist gleich der Nummerierung auf Abbildung 3. Die Magerungsdichte gibt die Kornanzahl pro Quadratzentimeter an. Die Angabe über die Härte der Keramik orientiert sich an der Mohs-Skala.

1. Randscherbe; Wandstärke: 1,0 cm; außen oxidierend, mittig reduzierend, innen oxidierend gebrannt; Magerungsart: Schamotte (bis 0,4 cm); Magerungsdichte: 8/cm²; Härte: 1-2.

2. Randscherbe; einziehender Rand; Wandstärke: 0,7 cm; außen oxidierend, mittig reduzierend, innen oxidierend gebrannt; Magerungsart: Schamotte (bis 0,2 cm); Magerungsdichte: 10/cm²; Härte: 3-4.

3. Randscherbe; Wandstärke: 0,5 cm; reduzierend gebrannt; Magerungsart: Schamotte (bis 0,1 cm); Magerungsdichte: 5/cm²; Härte: 3-4.

4. Wanscherbe; Wandstärke: 0,4 cm; außen oxidierend, mittig reduzierend, innen oxidierend gebrannt; Magerungsart: mineralisch (bis 0,05 cm); Magerungsdichte: 11/cm²; Glimmer; Härte: 1-2.

5. Wanscherbe; Wandstärke: 1,0 cm; reduzierend gebrannt; Magerungsart: Schamotte (bis 0,15 cm); Magerungsdichte: 5/cm²; Härte: 1-2.

6. Wanscherbe; Wandstärke: 1,3 cm; außen oxidierend, mittig reduzierend, innen oxidierend gebrannt; Magerungsart: Schamotte (bis 0,1 cm); Magerungsdichte: 6/cm²; Glimmer; Härte: 1-2.

7. Wandscherbe; Wandstärke: 0,9 cm; außen oxidierend, innen reduzierend gebrannt; Magerungsart: Schamotte (bis 0,4 cm); Magerungsdichte: 4/cm²; Härte: 3-4.

8. Wandscherbe; Wandstärke: 0,9 cm; außen oxidierend, innen reduzierend gebrannt; Magerungsart: Schamotte (bis 0,35 cm); Magerungsdichte: 28/cm²; Härte: 3-4.

9. Wandscherbe; Wandstärke: 1,2 cm; außen oxidierend, mittig reduzierend, innen oxidierend gebrannt; Magerungsart: Schamotte (bis 0,3 cm); Magerungsdichte: 4/cm²; Härte: 1-2.

10. Wandscherbe; Wandstärke: 0,6 cm; reduzierend gebrannt; Magerungsart: Schamotte (bis 0,2 cm); Magerungsdichte: 6/cm²; Härte: 3-4; sekundär gebrannt.

11. Rotlehm; Maße: 3,3 x 2,7 x 2,9 cm; Magerungsart: Schamotte (bis 0,05 cm); Magerungsdichte: 1/cm²; Glimmer; Härte: 1-2.

12. Rotlehm; Maße: 2,7 x 2,1 x 2,4 cm; Magerungsart: mineralisch (bis 0,15 cm); Magerungsdichte: 18/cm²; Glimmer; Härte: 1-2.

13. Klinge; weißer Feuerstein; Maße: 1,9 x 1,0 x 0,4 cm; Cortex-Rest an Schlagfläche; distal abgebrochen.

 

 

Literatur:

Lotz 2014
Ch. Lotz, Geländedenkmäler zwischen Großenlüder-Bimbach und Fulda-Maberzell-Trätzhof. Möglichkeiten und Grenzen der Auswertung von LiDAR-Scans. Unveröffentlichte Bachelorarbeit an der Philipps-Universität Marburg 2014.

Lotz 2018
Ch. Lotz, Geländedenkmäler zwischen Großenlüder-Bimbach und Fulda-Maberzell-Trätzhof. Möglichkeiten und Grenzen der Auswertung von LiDAR-Scans. In: F. Verse (Hrsg.), Unter dem Boden Verborgen. Archäologische Ausgrabungen zwischen Vogelsberg und Rhön (2018) 7-19.

Pramme de Alva – Stobbe – Verse 2011
E. Pramme de Alva / A. Stobbe / F. Verse, Archäologische und naturwissenschaftliche Untersuchungen an einem mittelbronzezeitlichen Gräberfeld bei Fulda-Maberzell-Trätzhof. Fuldaer Geschichtsblätter 87, 2011, 117-148.

Vonderau 1930
J. Vonderau, Vor- und frühgeschichtliches vom Schippberg bei Trätzhof. Fuldaer Geschichtsblätter 23, 1930, 81-86.

Vonderau 1931
J. Vonderau, Denkmäler aus vor- und frühgeschichtlicher Zeit im Fuldaer Lande. Veröff. d. Fuldaer Geschichtsvereins 21 (Fulda 1931).

Weihrauch – Makowski – Söder – Opp 2016
C. Weihrauch / V. Makowski / U. Söder & C. Opp, Eine fraktionierte Phosphatprospektion im Bereich der vorgeschichtlichen Siedlung auf der Milseburg (Lkr. Fulda). Archäologisches Korrespondenzblatt 46 (2016), S. 183-199.

Wingenfeld 2018
M. Wingenfeld, Grabungen zur Bronzezeit im Landkreis Fulda. In: F. Verse (Hrsg.), Unter dem Boden Verborgen. Archäologische Ausgrabungen zwischen Vogelsberg und Rhön (2018) 20-33.

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