Älter als gedacht: Dokumentation archäologischer Funde im Landkreis Fulda

 

Älter als gedacht: Dokumentation archäologischer
Funde im Landkreis Fulda

Von Christian Lotz

 

Über Nikolaus Schmitt, der im 18. Jahrhundert als Pfarrer in Kleinsassen tätig war, ist nicht viel bekannt. Für die Archäologie ist er jedoch, wie sich nun zeigte, aufgrund seiner persönlichen Aufzeichnungen von Interesse. Sie beinhalten die früheste verlässliche Erwähnung von Funden vorgeschichtlicher Artefakte im Landkreis Fulda und erweitern damit die bisher bekannte Forschungsgeschichte um fast neun Jahrzehnte.

Bisher wurden die erste Aufzeichnung über archäologische Funde im Landkreis Fulda dem Arzt und Medizinalrat J. Schneider zugeschrieben, da er im Juni 1821 und Juli 1822 der Einebnung von einigen Grabhügeln zwischen Fulda, Nonnenrod und Harmerz beiwohnte. Seine Beobachtungen und Funde hielt er im Jahr 1826 in schriftlicher und zeichnerischer Form fest und publizierte den Bericht „Über einige altdeutsche Grabhügel, entdeckt und eröffnet in verschiedenen Gegenden in Fulda“ in seiner Zeitschrift „Buchonia“ [Schneider 1826]. In den vorangegangenen Jahren waren vermehrt Artikel und Abhandlungen erschienen, die besonders Grabhügel und die darin aufgefundenen, damals noch als Altertümer bezeichneten Objekte zum Thema hatten. Von diesen waren von J. Schneider verschiedene gelesen worden, wobei es sich um die Werke von G. H. Ritter [Ritter 1800, 100-113], J. C. Schaum [Schaum 1816], D. Popp [Popp 1821], J. Emele [Emele 1825], F. A. Mayer [Mayer 1825] sowie der erste und zweite „Bericht an die Mitglieder des Sächsischen Vereins für Erforschung vaterländischer Alterthümer in Leipzig“ handelte und die ihm als Anreiz dienten, selbst nach Geländedenkmälern zu suchen. Besonderen Wert legte er auch darauf prähistorische und mittelalterliche Artefakte aus der Region in seinen Besitz zu bringen, die andernfalls „in unrechte Hände“ gefallen wären [Schneider 1829, 79].

Seine Nachforschungen und seine Sammeltätigkeit fallen dabei in eine Umbruchphase der Altertumsforschung, nachdem sie über hundert Jahre lang eine gewisse Stagnation erlebt hatte. Zuletzt war es im frühen 18. Jahrhundert der Marburger Professors der Geschichte und der Beredsamkeit J. H. Schmincke gewesen, der sich 1714 in seiner „Dissertatio de urnis sepulchralibus et armis lapideis veterum Cattorum“ mit Graburnen und Steinwaffen aus mehreren Grabhügeln bei Gudensberg-Maden beschäftigte und damit neue Impulse für die Forschung gab [Schmincke 1714]. Er betrachtete die Werkzeuge aus Felsgestein nicht mehr als „Donnerkeile“ sondern hielt sie für Waffen, wofür er bereits volkskundliche Vergleiche anführte und sah sie in Anlehnung an Tacitus zu den Chatten gehörend an. Noch sehr lange Zeit sollten daraufhin Artefakte zwar als Quelle erkannt werden, sie erweiterten jedoch nicht das vertraute Geschichtsbild sondern wurden starr in dieses eingeordnet [Herrmann 1990, 43, 46]. Auf diese Weise erfuhren die aufgefundenen Bestattungen meist eine Zuschreibung zu den Germanen, oder – besonders wenn kunstfertigere Objekte aufgefunden wurden – zu den Römern. Außerdem liegen aus den darauffolgenden über hundert Jahren immer mehr Quellen vor, die eine systematische Zerstörung von Grabhügeln etwa zur Belustigung höhergestellter Persönlichkeiten beschreiben, ohne dass eine weiterführende Dokumentation der Befunde und Funde stattfand. Hier war J. Schneider mit seinen (wenn auch aus heutiger Sicht nur grob dokumentierten) Hügelöffnungen im Fuldaer Raum vielen anderen hessischen Gelehrten weit voraus [Herrmann 1990, 58] und ist als Vorreiter eines mit dem Vormärz beginnenden neuen Zeitgeistes mit gezielt forschenden Altertumsvereinen und konservatorischen Ansätzen zu sehen. Dies zeigt sich darüberhinaus auch darin, dass er seine Untersuchungen veröffentlichte, die von ihm geborgenen Funde – wahrscheinlich aus dem Wissen heraus, dies nicht befriedigend leisten zu können – meist nicht näher zu datieren versuchte und für eine Zentralisierung ihrer Aufbewahrung in seiner Sammlung bemüht war. Zudem zeichnete er auch Grabungen dritter auf, wie etwa jene, die das Freifräulein Dorette von Riedesel bei Herbstein-Stockhausen (Vogelsbergkreis) durchführen ließ und die andernfalls in Vergessenheit geraten wären.  

In Anbetracht der weitreichenden Wissenslücke um das Auffinden archäologischer Artefakte im 18. Jahrhundert ist es umso erfreulicher, dass aus dieser Zeit die Erwähnung zweier Funde vom Gipfel der Milseburg in den persönlichen Aufzeichnungen des Pfarrers Nikolaus Schmitt aus Kleinsassen überliefert ist. Aus diesen Aufzeichnungen geht nicht nur hervor, dass der Vorplatz der damaligen Kapelle nicht, wie oft behauptet, erst 1732 hergerichtet wurde, sondern bereits 1730. Zwei Jahre später wurde er dann erweitert, wobei „oberhalb der Kapell der gewaltige Felsen mit unbeschreiblicher Mühe durchbrochen worden“ ist. Dabei fanden sich „ein Mauers Käle“ und „ein Ding gleich einem Pfeil“ [Schmitt 1738]. Die Ansprache dieser Objekte gestaltet sich in der Folge jedoch schwierig, da weder eine genauere Beschreibung noch eine Abbildung vorliegt und sie scheinbar nicht verwahrt wurden. Bei der „Mauers Käle“ mag es sich allerdings um eine Maurerkelle gehandelt haben, die beim Bau einer der Kapellen verwendet wurde. Wenn sie nicht mit der Errichtung des Gebäudes im 17. Jahrhundert in Verbindung steht, dann könnte sie vielleicht noch ins Mittelalter datieren, denn bekannt ist, dass bereits Ende des 15. Jahrhunderts eine Kapelle am Gipfel stand [Bohl 2001, 82]. Eine ebenfalls aus dem Mittelalter stammende Maurerkelle ist auch vom Kleinberg bei Rasdorf (Lkr. Fulda) bekannt geworden [Lotz – Rößner 2016, 22, Abb. 10].

 

Kapelle auf der Milseburg aus dem 17. Jahrhundert.
Gezeichnet von einem unbekannten Künstler im Jahr 1867
(Quelle: Vonderau Museum Fulda)

Das zweite Artefakt – „gleich einem Pfeil“ – könnte entsprechend eine Pfeilspitze gewesen sein, wobei die zeitliche Ansprache durch fehlende Hinweise nicht möglich ist. Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass es sich um ein Objekt aus Eisen handelte, da ein anderes Material vermeintlich als kurios empfunden und somit speziell erwähnt worden wäre. Die weitaus meisten Metallfunde von der Milseburg sind aus Eisen gefertigt und datieren in die Latènezeit, wozu auch Pfeilspitzen zählen [1]. In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass eisenzeitliche Lanzenspitzen teilweise relativ klein ausfallen und somit ebenfalls als pfeilähnlich angesehen werden können. Ein Exemplar einer Pfeilspitze mit Widerhaken und wahrscheinlich geschlitzter Tülle liegt aus der Völkerwanderungszeit vor [Rößner 2020, 139] und obwohl bisher nichts Derartiges von der Milseburg bekannt wurde, kann zudem eine Pfeil- oder aber Armbrustgeschossspitze aus einem mittelalterlichen bis frühneuzeitlichen Kontext nicht ausgeschlossen werden.

Auch wenn J. Schneider gewiss als dem Ersten im heutigen Landkreis Fulda eine Absicht bei der Suche nach Artefakten zu bescheinigen ist und er zwischen 1821 und 1826 die erste zeichnerische Funddokumentation ebendort anfertigte, tritt mit dem kleinsassener Pfarrer N. Schmitt eine bisher in der Forschungsgeschichte nicht beachtete Person in Erscheinung, die uns die älteste eindeutige Dokumentation archäologischer Funde in einer Zeit lieferte, in der dies nicht die Regel war.

 

Anmerkungen und Literatur: 

1
Freundlicher Hinweis von Steffi Lotz (Fulda).

Bohl 2001
Bohl, Paul: Die Gangolfskapelle auf der Milseburg, in: Feld, Marion – Englert, Dirk: Milseburg, Ein Berg mit Profil (Fulda 2001) 79-86.

Emele 1825
Emele, Joseph: Beschreibung römischer und deutscher Alterthümer in dem Gebiete der Provinz Rheinhessen (Mainz 1925).

Herrmann 1990
Herrmann, Fritz-Rudolf: Die Entdeckung der hessischen Vorzeit, in: Herrmann, Fritz-Rudolf – Jockenhövel, Albrecht (Hrsg.): Die Vorgeschichte Hessens (Stuttgart 1990), 39-69.

Lotz – Rößner 2016
Lotz, Christian – Rößner, Steffi: Der Kleinberg zwischen Rasdorf und Eiterfeld-Kirchhasel (Lkr. Fulda), Kleines Archiv für die Archäologie im Landkreis Fulda 2, 2016, 4-33.

Mayer 1825
Mayer, Franz Anton: Abhandlung über einige altteutsche Grabhügel im Fürstenthume Eichstätt (Eichstätt/Leipzig  1825).

Müller 2017
Müller Matthias: Die vogeschichtliche Besiedlung des Kreises Fulda. Bearbeitet und ergänzt von Frank Verse (Wiesbaden 2017).

Popp 1821
Popp, David: Abhandlung über einige alte Grabhügel, welche bei Amberg (im Regen-Kreise Baierns) entdeckt wurden (Ingolstadt 1821).

Ritter 1800
Ritter, Georg Heinrich: Denkwürdigkeiten der Stadt Wiesbaden (Mainz 1800).

Rößner 2020
Rößner, Steffi: Interessante Neufunde von der Milseburg bei Hofbieber-Danzwiesen, Lkr. Fulda, hessenArchäologie 2019 (2020) 138-139.

Schaum 1816
Schaum, Jacob C.: Die fürstliche Alterthümer-Sammlung zu Braunfels (Braunfels 1816).

Schmincke 1714
Schmincke, Johann Hermann: Dissertatio de urnis sepulchralibus et armis lapideis veterum Cattorum (Marburg 1714).

Schmitt 1738
Schmitt, Nikolaus: Persönliche Aufzeichnungen 1730-1738. Zitiert nach: Fürst, Paul: Einige Notizen über die Kapelle auf der Milseburg, Fuldaer Geschichtsblätter 4, 1905, 112.

Schneider 1826
Schneider, Joseph: Über einige altdeutsche Grabhügel, entdeckt und eröffnet in verschiedenen Gegenden in Fulda, Buchonia 1, 1826, 152-176.

Schneider 1829
Schneider, Joseph: Über altdeutsche Grabhügel, Buchonia 4, 1829, 61-82.

 

 

 

Kommentare