Streifzüge durch Fuldas Geschichte (Teil 1) - Auf den Spuren des Archäologen, Lehrers und Familienvaters Joseph Vonderau
Streifzüge durch
Fuldas Geschichte (Teil 1)
Auf
den Spuren des Archäologen, Lehrers und Familienvaters Joseph Vonderau
Von Christian
Lotz
Ein Rundgang beginnend am Parkplatz
„Weimarer Straße“. Zum Dom, durch den Schlossgarten und über die Waides an der Hundeshagenanlage
entlang zurück zum Startpunkt.
Länge: 2,2 km
Dauer: etwa 1,5 Stunden
Hinweis: Nicht barrierefrei
Der Rundgang im Überblick |
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Der im Wiesengrund der Fulda-Auen gelegene
Parkplatz „Weimarer Straße“ bietet für diesen Rundgang einen idealen Start- und
Endpunkt. Er ist rund um die Uhr zugänglich und die Parkkosten betragen zur
Zeit der Veröffentlichung 0,20 € je angefangener Stunde, ein Tagesticket ist
für 1,00 € zu erwerben.
Joseph Vonderau gilt als Begründer der
empirischen Vor- und Frühgeschichtsforschung im Fuldaer Land. Mit seinem
autodidaktisch erworbenen Wissen über das regionale Altertum, verbunden mit
Innovationsgeist und unermüdlichem Tatendrang legte er in den Jahrzehnten vor
dem Zweiten Weltkrieg nicht nur fundamentale Grundlagen für die moderne
archäologische Forschung im Landkreis Fulda, sondern sorgte auch für eine bis
heute andauernde Verbundenheit der Fuldaer Bürger mit der Geschichte ihrer
Heimat. Durch seine Grabungstätigkeiten, die zumeist Grabhügel und
Ringwallanlagen zum Ziel hatten, füllte er die Vitrinen und das Magazin des
später nach ihm benannten Regionalmuseums (Vonderau Museum, Jesuitenplatz 2,
Öffnungszeiten: Di-So 10-17 Uhr) und es verwundert kaum, dass beispielsweise
fast zwei Drittel aller jemals in Osthessen verzeichneten Metallfunde der
Hügelgräberbronzezeit zwischen dem Beginn und der Mitte des 20. Jahrhunderts –
also im Zeitraum seiner Forschungstätigkeit – bekannt wurden. Zu seinen
bekanntesten Feldforschungen zählen dabei die Grabungen an der Milseburg bei
Danzwiesen sowie die, die er am Haimberg bei Haimbach und auf der Büraburg bei Fritzlar
durchführte.
Der Spaziergang, den Sie nun vor sich
haben, lässt Sie auf Wegen schreiten, die zeitweise von Joseph Vonderau selbst täglich
genommen wurden. Auf diese Weise soll Ihnen nicht nur Vonderau als „Nestor der
hessischen Vorgeschichtsforschung“ – wie er oft bezeichnet wird – näher
gebracht werden, sondern auch als Privatmensch, der als Lehrer und liebender
Familienvater ein gottesfürchtiges Leben führte.
- Vom Parkplatz aus begeben Sie sich in Richtung Süden, überqueren die Weimarer Straße und biegen in die Langebrückenstraße gen Innenstadt ein. Dieser folgen sie etwa 150 m bis auf Höhe der Hausnummern 7 und 9.
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Joseph Vonderau wurde am 02.04.1863 in
der Königsstraße 945 als Sohn des Webermeisters Damian Vonderau und dessen Frau
Margarethe gen. Auguste, geb. Bader, geboren. Das kleine Haus in dem die
Familie damals lebte wurde im September 1953 abgerissen – heute steht an der
Stelle das Behördenzentrum der Stadt Fulda. Es war eines der typischen Fuldaer
„Fünf-Fenster-Häuschen“, wie sie heute im Stadtbild selten geworden sind. Richten
Sie Ihren Blick nach Süden auf die Hausnummern 7 und 9, so können sie dennoch zwei
vergleichbare Wohnhäuser sehen. Joseph war das Erste aus einer Reihe von 14
Geschwistern, die in beengten Räumlichkeiten aber in herzlicher
Familienatmosphäre aufwuchsen. Ab Ostern 1869 wurde er auf die Dompfarrliche
Knabenschule geschickt, die auch in seinem späteren Leben noch eine bedeutende
Rolle spielen würde und auf der er zu einem lerneifrigen Schüler wurde. Auch
die Religion spielte für den gläubigen Katholiken bereits früh eine wichtige
Rolle in seiner Entwicklung und sollte für ihn bis zu seinem Tod ein
grundlegender Impuls seines regen und umfangreichen Schaffens sein. Die
Schulzeit war jedoch geprägt von den Kulturkampfjahren, sodass das religiöse
Leben oft im geheimen stattfinden musste.
Das „Fünf-Fenster-Häuschen“, in dem Joseph Vonderau aufwuchs (Quelle: ASF) |
- Durchqueren Sie nun die Durchfahrt, die Sie durch ein zur ehemaligen Fabrik Schmitt gehörendes villenartiges Kontor- und Wohnhaus schräg gegenüber der „Fünf-Fenster-Häuschen“ hindurch führt. Sie gelangen auf diese Weise zu einem Gelände zwischen Langebrückenstraße und Weimarer Straße (Langebrückenstraße 14/16).
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Bis 2019 war das Gelände, auf dem Sie
sich nun befinden, geprägt durch verwaiste Produktionshallen mit Sheddächern nach
britischem Vorbild, die schließlich dem Bau von sieben Mehrfamilienhäusern
wichen. Die Geschichte des über lange Zeit industriell genutzten Geländes
begann in den 1840er Jahren mit der Errichtung einer Baumwollweberei durch
Ignaz Schwarz, die sich bald – begünstigt durch die von Napoleon verordneten
Abschottung des Kontinents von englischen Produkten – von der Handweberei zu
einer mechanischen Baumwollfabrik mit 80 Mitarbeitern entwickelte. In den 1890er
Jahren übernahm der Fabrikant Richard Schmitt das Areal, auf dem dann im Herbst
des Jahres 1897 Ausschachtungsarbeiten für einen Brunnen stattfanden. Dabei stieß
man in zwei bis drei Metern Tiefe auf Holzpfähle, Tierknochen und Keramikscherben.
Der zu diesem Zeitpunkt 34 Jahre alte Joseph
Vonderau – der wenige Monate zuvor das Museum in Kiel besuchte und dort mit
großem Interesse vorgeschichtliche Steinwerkzeuge betrachtet hatte – bekam diese
ersten Funde aus der Langenbrückenstraße bei einem Vortrag des Weinhändlers
Eduard Schmitt im Verein für Naturkunde zu sehen. Er wandte sich daraufhin an
Oberbürgermeister Dr. Antoni und erbat finanzielle Mittel für eine archäologische
Ausgrabung. Mit den insgesamt 1.900 Mark (inflationsbereinigt etwa 13.500 €),
die er bis 1899 von der Stadt Fulda dafür zur Verfügung gestellt bekam, wurden
neben der Ausgrabung und der Ausstellung der Funde im städtischen Museum auch
zwei Reisen in die Schweiz finanziert. Dort wollte er die von ihm geborgenen
Artefakte mit jenen Funden aus den Schweizer Seen vergleichen, welche im 19.
Jahrhundert ein wahres „Pfahlbaufieber“ ausgelöst hatten und die auch Vonderau
dazu veranlassten, die Befunde der Langenbrückenstraße als Pfahlbausiedlung im Uferbereich
der Fulda zu postulieren, die seit der Germanenzeit bis um das Jahr 700 n. Chr.
bestand. Am Ende seines Lebens zweifelte er selbst an seiner These und
vermutete, dass die Hölzer Reste einer Landsiedlung seien. Heute ist bekannt,
dass der Großteil der Funde – darunter Kämme aus Bein, Reste der
Glasherstellung sowie der Eisen- und Lederverarbeitung – in die ersten hundert
Jahre nach der Klostergründung (744 n. Chr.) datiert und es sich um einen
Bereich handelte, in dem verschiedene Handwerker tätig waren.
Vonderau setzte mit der Grabung in der
Langenbrückenstraße, bei der er insgesamt 12 Suchschächte öffnete, neue
Maßstäbe für die hessische Altertumsforschung. Besonders die Zusammenarbeit mit
diversen Experten, von denen er Tierknochen, Pflanzensamen, Torf und Schlacken
untersuchen und bestimmen ließ, war für die damalige Zeit vorbildhaft.
- Begeben Sie sich zurück auf die Langebrückenstraße. Folgen Sie ihr in Richtung Osten und biegen Sie nach 50 m rechts in die Kronhofstraße ein. Sogleich wenden Sie sich nach links und gehen die Hinterburg hinauf. Vor dem Dompfarrzentrum angekommen schreiten Sie rechts durch das Stefanstor.
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Das Stefanstor, das Sie soeben
durchschritten haben, wird auch „Schultor“ genannt und ist ein Nachbau des
durch Bombenangriffe zerstörten Gebäudes, welches im 18. Jahrhundert eine erst
vom Domküster und später vom Benediktinerpater Isidorus Schleichert geleitete
Schule beherbergte. Die Schulpflicht galt bereits zu dieser Zeit für Mädchen
und Jungen bis zum 14. Lebensjahr gleichermaßen, sodass der Klassenraum schnell
überfüllt war und der Neubau eines Schulgebäudes angestrebt wurde. Einen Platz
dafür fand man neben dem Stefanstor, zwischen Hinterburg und Michaelskirche,
auf einem Grundstück, auf dem zu diesem Zeitpunkt lediglich Schuttabfuhren
hingebracht wurden und wo 1824 mit dem Bau der neuen Dompfarrlichen
Knabenschule begonnen werden konnte. Das Ergebnis war ein zweigeschossiges
Gebäude in klassizistischer Linie in
Hufeisenform nach einem kostenlosen Entwurf des Architekten Adam Franz Giesel,
der aus Schleicherts eigenen Mitteln sowie durch Kollekten finanziert und
schließlich im April 1827 fertiggestellt wurde.
Nach seiner Ausbildung am
Schullehrer-Seminar in Fulda war Vonderau zunächst als Gehilfe an der Schule in
Langenschwarz tätig gewesen, wo er auch seine spätere erste Frau, Josephine
Kiel, die Schwester des dortigen Pfarrers, kennenlernte. 1884 wurde er dann für
ein Jahr als Elementarlehrer nach Stellberg bei Gersfeld versetzt, bevor er
zurück nach Fulda kam, wo er als Lehrergehilfe an den katholischen Schulen
arbeitete. Nach seinem abgeleisteten Wehrdienst beim 2. Thüringischen Infanterieregiment
Nr. 32 in Hersfeld konnte er dann seinen Dienst als Lehrer in seiner Heimatstadt
antreten.
Im beschriebenen Domschul-Neubau war
Joseph Vonderau ab dem Frühjahr 1886 als angestellter Lehrer tätig und
spätestens ab 1894 bis zum Oktober 1897 lebte er mit seiner Familie auch in
einer der beiden zugehörigen Lehrerwohnungen. Der Schule sollte er bis zu
seiner Pensionierung 1928 dienen, wobei er später erst zum Hauptlehrer und
schließlich zum Direktor ernannt wurde. Später unterrichtete hier auch seine
Tochter Auguste. Mit großem Eifer führte Vonderau dabei über viele Jahre die
Schulchronik und da er in dieser auch für Fulda bedeutsame Ereignisse
festhielt, liest sie sich stellenweise wie eine Stadtchronik. So beschrieb er
etwa den Verlust des nördlichen Domturms im Jahre 1905, der bei einem Feuerwerk
während der 1150-Jahr-Feierlichkeiten zum Todestag des Hl. Bonifatius in Brand
geriet oder auch den Überflug des Zeppelins „Schwaben“ am 6. September 1911,
der die Schulleitung dazu bewegte allen Schülern ab 10 Uhr vormittags frei zu
geben.
- Wenn Sie ein kurzes Stück weit den Weg zum Michaelsberg hinaufgehen und ihren Blick nach Westen wenden, können Sie über die Mauer des Priesterseminars das Flachdach eines modernen Kapellenbaus sehen. Haben Sie etwas Glück, dann ist das Tor geöffnet und sie können einen Blick in den Garten erhaschen.
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Eine weitere von Joseph Vonderaus unzähligen
Grabungen fand 1910 im Garten des Priesterseminars statt. In dem Bereich, der
von ihrem Standpunkt aus gesehen hinter der vom Architekten Sep Ruf geschaffenen
und 1968 geweihten achteckigen Kapelle mit Flachdach liegt, öffnete er drei Grabungsschnitte.
Unter mittelalterlichen Kulturschichten stieß er dabei in 3,5 m Tiefe in hellem
Lehm auf Pfostenlöcher die möglicherweise zu einem vergangenen Gebäude
gehörten. Zudem legte er einen mit Steinplatten umstellten Herd frei, indem
sich Brandreste, Scherben und Tierknochen befanden. In den Grabungsschnitten A
und B fanden sich Scherben der römischen Kaiserzeit – von denen einige auch
noch aus der späten Latènezeit, also der jüngeren vorrömischen Eisenzeit (etwa 250 bis 15 v. Chr.), stammen könnten – während aus Grabungsschnitt
C steinzeitliche Werkzeuge aus Quarzit, Kieselschiefer und Feuerstein geborgen
wurden.
- Gehen Sie den Weg zum Michaelsberg weiter hinauf bis Sie zur Michaelskirche gelangen. Von dort aus können Sie den Blick auf den Dom genießen.
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Der Dom St. Salvator wurde ab 1704 durch
Johann Dientzenhofer unter der Bauherrschaft von Adalbert von Schleifras als
Stiftskirche errichtet. Sie ersetzte die zum Teil baufällig gewordene Ratgarbasilika,
wobei die Westmauer des westlichen Querhauses und die östlichen Chortürme der
ehemaligen Kirche in den Neubau integriert wurden. Die Weihe zu Ehren des
Erlösers (St. Salvator) und Maria erfolgte dann am Himmelfahrtstag 1712 durch
den Fürstabt, der sich dafür die Zustimmung des Papstes eingeholt hatte.
Joseph Vonderau führte in und um den Dom
herum zwischen 1908 und 1941 mehrere Grabungskampagnen durch und prägte durch
die dabei gewonnenen Erkenntnisse das heutige Bild der Baugeschichte maßgeblich.
So fand er beispielsweise heraus, dass Johann Dientzenhofer die Grundmauern der
alten Basilika als Sockel für die neue Stiftskirche nutzte. Außerdem
postulierte er anhand von Mauerfunden einen merowingerzeitlichen Gutshof, der
um das Jahr 700 abgebrannt sein soll und dessen Überreste angeblich die
Grundlage für den Bau von Behelfsräumen bei der Wiederbesiedlung des Areals
unter Sturmius bildete. Mittlerweile ist diese Deutung umstritten und es wird
diskutiert, ob es sich nicht um Baureste des ersten Klosters handeln könnte.
Auch ist bisher zum Beispiel nicht geklärt, ob die erste Kirche tatsächlich
dreischiffig und so viel größer als in anderen Klostergründungen des ostfränkischen
Reichs war und wie ihr Verhältnis zu dem Neubau des 9. Jahrhunderts ist.
Die seinerzeit durchgeführten Grabungen
waren jedenfalls in einem hohen Maße öffentlichkeitswirksam; nicht nur wurde
Vonderau von seinem Dienst freigestellt, die Ergebnisse seiner Forschungen
wurden von der Fuldaer Bevölkerung auch mit Spannung erwartet. Nach der ersten
Kampagne, die 1913 endete, fand im Haus des Bürgervereins – dem Vorgängerbau
des heutigen Galeria Kaufhof in der Rabanusstraße 19 – die Generalversammlung
des Fuldaer Geschichtsvereins statt. Der dazu angekündigte Vortrag Vonderaus
über seine Grabungen führte dazu, dass der Versammlungsraum bald völlig
überfüllt war.
- Am Ende des Michaelsberges angekommen überqueren Sie die Pauluspromenade. Von hier aus betreten Sie den Schlossgarten durch das große eiserne Tor. Nehmen Sie den Weg zu Ihrer Linken, der Sie zur Floratreppe vor der Orangerie führt.
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Die 6,9 m hohe Statue auf der Mitte der
Treppe vor der Orangerie stellt die römische Blumengöttin Flora dar. Sie wurde einer
Idee des Fürstabts Adolf von Dalberg und dem Entwurf von Friedrich Joachim
Stengel folgend 1728 vom Bamberger Bildhauer Daniel Friedrich Humbach
ausgeführt. Nachdem Joseph Vonderau mit seiner Familie im Herbst 1897 in ein
Haus an der Waides umzog, führte ihn sein Arbeitsweg zweimal täglich durch den
Schlossgarten hindurch, wobei er das imposante Denkmal des Öfteren bewundert
haben wird. Umso schmerzlicher muss es für den friedliebenden und den Krieg
verachtenden Domschullehrer gewesen sein, als sie im Laufe des Zweiten
Weltkrieges zum Schutz gegen Bomben vollständig eingemauert wurde. Ein
Bombentreffer auf die Floratreppe, der die Statue nur um wenige Meter
verfehlte, gab der Maßnahme jedoch Recht. Die hierdurch notwendig gewordenen Renovierungsmaßnahmen
an der im Zuge der Umgestaltung des Residenzgartens errichteten Treppe wurden
letztendlich erst im Jahr 2019 beendet nachdem sich im Laufe der Jahrzehnte
immer wieder Treppenstufen um mehrere Zentimeter verschoben hatten.
Joseph Vonderau war ein Mann, der seine
Heimat liebte und seine rege Lehr- und Forschungstätigkeit nach eigener Aussage
im Namen Gottes durchführte. 1908 wurde ihm kurz vor seinem 45. Geburtstag in
Anerkennung seiner wissenschaftlichen Leistungen vom Kgl. Kultusminister Holle
der Professorentitel verliehen. Er hatte zu diesem Zeitpunkt bereits diverse
Ausgrabungen von Grabhügeln in der Gegend um Großenlüder geleitet, die vorgeschichtlichen
Befestigungsanlagen auf dem Haimberg bei Haimbach, der Milseburg bei Danzwiesen
und dem Sängersberg bei Bad Salzschlirf untersucht und steinzeitliche Gräber
auf dem Schulzenberg entdeckt. Auf seinem Professorentitel ruhte sich Vonderau
allerdings nicht aus, sondern ging weiter seinem Forscherdrang nach, sodass ihm
im Laufe seines Lebens weitere Titel verliehen wurden. 1923 erhielt er durch
die Universität Marburg die Ehrendoktorwürde für die Förderung der
Bodenforschung des hessischen Landes und ein Jahr später wurde er zum
korrespondierenden Mitglied des Archäologischen Institutes in Rom berufen. Noch
im selben Jahr ernannte ihn die Stadt Fulda zum Ehrenbürger und 1943 erhielt er
die Goethemedaille für Kunst und Wissenschaft. Die für ihn wichtigste
Auszeichnung war jedoch der päpstliche Orden Pro Ecclesia et Pontifice, den er an Pfingsten 1925 für seine allgemein
anerkannten Verdienste um die Anliegen der Kirche und des Papstes erhielt.
- Spazieren Sie weiter durch den Schlossgarten, wobei Sie sich links des Teiches halten. Sobald Sie diesen hinter sich gelassen haben, können Sie zu ihrer Linken einen Durchgang in der Mauer erkennen, der zu einer Treppe führt. Haben Sie diese erklommen, so finden Sie sich „An der Waides“ wieder.
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Das Haus „An der Waides“ 15 – heute noch
gut durch den eindrucksvollen Ginkgo-Baum an der Straßenecke auszumachen –
wurde von Joseph Vonderau und seiner Familie ab 1897 bewohnt. Er hatte das
Grundstück zu Beginn des Jahres aufgrund einer Fehlspekulation des
Zimmermeisters Joseph Fritz günstg erwerben können. Ein bereits begonnener Bau, der zu diesem
Zeitpunkt lediglich aus einem Keller und den Grundmauern bestand, wurde
daraufhin bis zum Oktober fertiggestellt. Vonderaus Bruder Dionys erledigte die
Malerarbeiten am und im Haus und bemalte dabei die Wände eines Kellerraums auf
Wunsch des Hausherrn mit einer aufwändigen Urwaldszene im Stil von Henri
Rousseau.
Der mächtige Ginkgo-Baum war der Erste seiner Art,
der in Fulda gepflanzt wurde und war von Vonderau bei der großen
Gewerbeausstellung erworben worden, die vom 02. bis 31. Juli 1904 oberhalb des
Schlossgartens an der Kurfürstenstraße abgehalten wurde. Man kann sich gut
vorstellen, wie der exotische Baum Vonderaus Aufmerksamkeit auf sich zog. Er dürfte
die Pflanze nicht nur durch Goethes Gedicht, sondern möglicherweise auch aus allgemeinem
Interesse an der Naturkunde gekannt haben. Immerhin war er Mitglied im Verein
für Naturkunde zu Fulda, wo er 1890 einen Vortrag über „Die Eiche – ein
Gasthaus für Hornflügler“ hielt und mehrere Jahrzehnte als Schriftführer tätig
war.
Das Haus „An der Waides“ 15 stellte den
Lebensmittelpunkt für die Familie Vonderau dar und war ein Ort, an dem viel
Freude herrschte. So etwa jedes Jahr am 19. März, dem Josephstag, der Joseph Vonderau
stets ein Anlass zur Feier war und an dem die Tür des Hauses jedermann offen
stand. Allerdings war es auch der Schauplatz für viele tragische Szenen: Unter
einem heute noch neben dem Eingang stehenden weißen Heckenrosenstrauch nahm
Joseph Vonderau jr. am 2. August 1914 Abschied um in den Großen Krieg zu
ziehen, aus dem er nie wieder zurückkehren sollte. Im Zweiten Weltkrieg wurde
das Haus der Vonderaus nur knapp verschont, als am 11. September 1944 schräg
gegenüber eine Bombe zwischen den beiden Nachbarshäusern einschlug. Durch die
Druckwelle der Explosion wurden Fenster und Türrahmen herausgerissen und das
Dach abgedeckt. Joseph Vonderau saß mit seiner Familie im nahegelegenen
Luftschutzkeller, wobei er durch die geöffnete Tür den Himmel beobachtete,
während er in aller Ruhe seine geliebte Pfeife rauchte. Nach dem Luftangriff
stellte man fest, dass sich ein Bombensplitter direkt über seinem Kopf in die
Wand gebohrt hatte.
- Gehen Sie die Liobastraße in Richtung Nordwesten und biegen Sie an deren Ende links in die Leipziger Straße ein. Nach etwa 60 m erreichen Sie die Winfriedschule.
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Auf dem Gelände, auf dem sich heute die
Winfriedschule befindet, stand im 19. Jahrhundert ein zweigeschossiger
Backsteinbau, der seit 1879 das Königliche Schullehrer-Seminar beherbergte. Hier
wurde Joseph Vonderau ab 1880 zum Lehrer ausgebildet, nachdem er zuvor drei
Jahre lang die Präparandenanstalt besucht hatte. Noch erhaltene Zeugnisse geben Aufschluss
darüber, dass er in allen klassischen Lernfächern durchweg gute Leistungen
erbrachte, während ihm Musik und Sport nicht sonderlich zu liegen schienen.
Viele der Schulfüchse aus der Gegend um
Fulda waren im Severibergviertel untergebracht, Vonderau wohnte jedoch wohl
weiterhin bei seinen Eltern in der Königsstraße, was auch eine finanzielle Erleichterung
für seinen Vater gewesen sein dürfte. Immerhin kostete die Ausbildung im
Seminar eine Mark am Tag (Inflationsbereinigt etwa 7,20 €). Das Rauchen,
Trinken, Wirtshausbesuche und auch das tragen von Spazierstöcken – die gerne zu
Duellen unter den Füchsen genutzt wurden –
waren während Vonderaus Seminarsjahren strengstens verboten. Für das
gesundheitliche Wohl sorgte zu damaliger Zeit Dr. Justus Schneider, der vom
Schullehrer-Seminar als Anstaltsarzt angestellt war. Sein Vater, der Geheime
Medizinalrat Dr. Joseph Schneider, war es gewesen, der in den 1820er Jahren die
ersten gezielten Grabhügelöffnungen in Fulda durchgeführt hatte. Ob bei einem
möglichen Gespräch zwischen dem Arzt und dem jungen Vonderau jemals das Thema
auf Dr. Schneider sen. und dessen archäologisches Schaffen kam, ist nicht
bekannt.
Vonderau beendete seine Ausbildung am
28. Februar 1883 zusammen mit 19 anderen Seminaristen. Daraufhin wurde er zum
Schulamtskandidat für Elementarlehrerstellen ernannt und als Lehrergehilfe nach
Langenschwarz berufen.
Der Frauenberg mit dem Lehrerseminargebäude im Vordergrund (Quelle: ASF) |
- Es geht weiter die Leipziger Straße entlang. Überqueren Sie diese dann gegenüber des Alten Dompfarrlichen Friedhofs und steigen Sie den Rudolf-Theuer-Weg empor, der Sie auf die andere Seite des Weimarer Tunnels bringt. Gehen Sie den schmalen Pfad hinab zum Horaser Weg, überqueren Sie diesen und nehmen Sie den Fußweg, der Sie um das Haus an der Weimarer Straße 10 herumführt. Von hier aus gehen Sie weiter in westlicher Richtung, verweilen jedoch auf halbem Weg zum Start- und Endpunkt noch einmal. Richten Sie ihren Blick nach Norden, so können Sie den Frauenberg mit seinem imposanten Kloster sehen.
(10)
Joseph Vonderau verstarb am 21. April
1951. Sein Grab findet sich auf dem Friedhof Frauenberg hinter dem Kloster, wo
er neben seinen beiden Frauen Josephine und Maria ruht. Bereits in der zweiten
Hälfte der 1940er Jahre hatte er die archäologische Forschung in Fulda sowie
die Leitung des nach ihm benannten Museums in die Hände seines Nachfolgers Dr.
Heinrich Hahn – dem Neffen seiner ersten Frau Josephine – gelegt und trat auch
von der Vorstandstätigkeit im Fuldaer Geschichtsverein zurück. Stattdessen verbrachte
er mehr Zeit in seinem Garten. 1951, drei Wochen vor seinem 88. Geburtstag,
stürzte der hochbetagte Mann auf der vereisten Leipziger Straße in Richtung
Innenstadt und zog sich einen Oberschenkelhalsbruch zu. Nachdem er drei Wochen
im Krankenhaus verbracht hatte, schien einer Genesung eigentlich nichts im Wege
zu stehen. Trotzdem verstarb er zuhause in seinem Bett wahrscheinlich an einer
durch die lange Bettlägerigkeit ausgelösten Lungenembolie.
Für den Tag der Beerdigung war an allen
öffentlichen Gebäuden und Schulen Fuldas Halbmastbeflaggung angeordnet worden. Der
Friedhof war bei strahlendem Sonnenschein angefüllt mit Menschen, die an seinem
Tod Anteil nahmen und Oberbürgermeister Dr. Raabe hielt eine Grabrede, genauso
wie viele Fachkollegen und Freunde. „Alles, was Prof. Vonderau erreicht hat“,
schrieb Heinrich Hahn später, „hat er allein aus sich heraus geschaffen. Begabt
mit einer beispielhaften Energie und einem kaum erlahmenden Arbeitseifer, hat
er als Autodidakt sich ein Wissen angeeignet, das, gestützt auf ein
ausgezeichnetes Gedächtnis, ihn zu größten Leistungen befähigte. […] [Er war
ein] großartiger und treusorgender Ehemann und Vater, ein kinderliebender
Großvater, humorvoll und lebensbejahend, den großen wie den kleinen Dingen
liebend zugewandt war er hilfsbereit zu jedem, der ihn bat. […] Er war ein
ganzer Mann. Er ruhe in Gottes Frieden.“
- Sie sind fast wieder am Parkplatz „Weimarer Straße“ und damit am Ende des Rundganges angekommen. Wie Sie erfahren haben, war das Leben und Wirken des „Mannes mit dem goldenen Spaten“ geprägt durch seinen strebsamen Tatendrang im Namen Gottes aber auch durch seine Liebe zu seiner Familie und seiner Vaterstadt Fulda. Nur mit Leidenschaft, kindlicher Neugier und einem Spaten ausgerüstet schaffte er es, die kollektive Identität einer ganzen Stadt maßgeblich mitzuprägen. Mit ihm verstarb ein Mensch, der durch seine vielen herausragenden Eigenschaften eine „Persönlichkeit von seltener, abgerundeter Prägung“ war, wie Heinrich Hahn ihn treffend beschrieb.
Quellen und
weiterführende Literatur
Heiler,
Thomas – Orth, Klaus (Red.): Fulda - Das Stadtlexikon (Fulda 2019).
Kind,
Thomas: Keine Pfahlbauten im Fuldathale – Aus den Anfängen von Kloster Fulda, hessenArchäologie
2002 (2003), 140-144.
Von
Kügelgen, Dorothee: Der Mann mit dem goldenen Spaten. Joseph Vonderau
(1863-1951) im Spiegel seiner Zeit (Fulda 2016).
Müller,
Matthias: Die vorgeschichtliche Besiedlung des Kreises Fulda (Wiesbaden 2017).
Untermann,
Matthias: Kirchen und Klöster. Beobachtungen zum archäologischen Forschungsstand
in Hessen, Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 33, 2005, 33-48.
Vielen
Dank an Familie Feuerstein für aufschlussreiche Gespräche über die Bewohner des
Hauses „An der Waides“ 15 und die Erlaubnis zur Publikation der Fotos aus dem
Privatarchiv Sturmius Feuerstein (ASF).
Herzlichen
Dank auch an Marita Glaser für freundliche Informationen zum Schultor.
Bilder
aus dem Stadtarchiv Fulda:
Eingemauerte
Floravase – Signatur: D 502 (Bestellnummer: BA-43261)
Alte
Domschule – Signatur: BK Straßen 7083 (Bestellnummer: BA-8823), Foto: Hubert Weber
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